Ein Höhepunkt des braunen Terrors
Heute vor 75 Jahren ließen die Nazis auch in Nordschwaben die „Volksseele kochen“. Die sogenannte Reichspogromnacht markiert ein dunkles Kapitel der Geschichte. Vor allem die NS-Medien hetzten damals in der Region
Vor 75 Jahren erreichte die Menschenverachtung der Nazis mit der sogenannten „Reichskristallnacht“ einen traurigen Höhepunkt. Auch in der Region wurde gegen Juden gehetzt. Die Redaktion hat auf der Basis alter Zeitungsbände der DZ sowie neueren Erkenntnissen den Versuch unternommen, die Ereignisse nachzuzeichnen.
Harburg/Donauwörth Synagogen gingen in Flammen auf, Schaufensterscheiben jüdischer Läden zersplitterten unter den Steinen der SA. Wer sich nicht zum Nationalsozialismus bekannte, wurde niedergeknüppelt am 9. November 1938. Die Menschenverachtung der Nazis erreichte heute vor genau 75 Jahren einen neuen Höhepunkt. Auch in Nordschwaben ließen die Verführer an jenem 9. November die „Volksseele kochen“.
Die Synagogen in Nördlingen, Oettingen, Hainsfarth und Binswangen wurden in der sogenannten „Reichskristallnacht“ entweiht, geplündert und zum Teil demoliert. Auch in Buttenwiesen verschonten die Nazis das mosaische Gebetshaus nicht – dort wurden sogar noch acht Juden verhaftet. In Harburg hatte man zwar die Synagoge nicht in Brand gesteckt, allerdings waren im Laufe der Kriegsjahre die Einrichtung und sonstige Gegenstände entfernt worden. Sie diente dann als Lager.
Bereits im Jahr 1936 hatte sich die vormals starke jüdische Kultusgemeinde der Stadt Harburg jener von Nördlingen angeschlossen. Zu viele der mosaischen Glaubensgenossen verließen in den Jahrzehnten vorher den traurigen Umständen der Zeit wegen die lieb gewordene Heimat Harburg. Im Jahre 1938 lebten nur noch drei von ihnen im Burgstädtchen. Auch in Donauwörth, Wemding, Monheim und Rain gab es keine – oder zumindest kaum mehr – jüdische Bürger.
Auf gespenstische Art legitimierend liest sich in den Tagen nach der „Reichskristallnacht“ eine geschichtliche Abhandlung in der damaligen Donauwörther Nationalzeitung. Am 15. November 1938 wurde darin die Entwicklung der jüdischen Kultusgemeinde in der einstigen Reichs- und jetzigen Großen Kreisstadt dargestellt. Der Zusatz „heute hochaktuell“ verknüpfte hierbei gezielt (angebliches) historisches Geschehen mit den Nazi-Schandtaten – eine Kontinuität der Geschichte sollte simuliert werden. Mit verachtender Polemik ließ der Artikel nachträglich kein gutes Haar mehr an den einstigen jüdischen Bewohnern der Reichstadt.
Der Leser erfuhr, dass mit der Verleihung des Bürgerrechts an Juden im Jahr 1383 die „Geschichte dann ihren erprobten Lauf“ genommen habe. „Hundert Jahre später“, so steht geschrieben, „ist der (frühere) Markt bereits unter jüdischer Herrschaft.“ Mehr als gelegen kam den nationalsozialistischen Rassenideologien das Dokument Kaiser Maximilians I., der am 5. November 1517 sinngemäß nach Schwäbischwerd (so hieß Donauwörth damals) schrieb, dass sämtliche Juden ihr Hab und Gut zu packen hätten und die Stadt verlassen müssten. Häuser und Grundstück fielen demnach nämlich dem Kaiser zu – und die Stadt war verpflichtet, sie von ihm wieder abzukaufen.
Vorurteile aus dem Mittelalter
Diese Reminiszenz an Maximilian war ein gefundenes Fressen für die Nazi-Journaille, welche die kaiserliche Anordnung auszugsweise im Wortlaut abdruckte, gleichermaßen, als habe sich Donauwörth bereits in einer Art „weiser nationalsozialistischer Voraussicht“ in einer vorgezogenen „Reichskristallnacht“ seiner Juden „entledigt“. So zumindest der Tenor des Berichts.
Für die Judenhatz war den braunen Schergen indes scheinbar kein Mittel zu billig. Immer wieder servierten sie den Donauwörthern Berichte und Meldungen – nicht selten an den Haaren herbeigezogen, nur um in das deutschlandweite Schmähgeschrei gegen „Ahasver“ mit einstimmen zu können. So erfuhren die Leser am 10. November 1938, dass man in Oppertshofen ein Gemälde mit dem Titel „Der Bauernfeind“ gefunden habe. Darauf sei ein Jude dargestellt, wild mit einem Schuldschein winkend und sich daran labend, dass ein „rechtschaffener deutscher Bauer“ seinen Hof aufgeben musste. Für die Nazis war dies ein „historisches Dokument“. Das Alter des Bildes wurde laut Zeitungsnotiz auf „mehr als 50 Jahre“ geschätzt. Der Artikel passt zur unseligen Parole des „Frankenführers“ Julius Streicher, die auch über den Jura lautstark an die Donau drang: „Die Juden sind unser Unglück!“ Die Wochenbeilage „Heimatfreund“ listete unterdessen in der Ausgabe 12/1937 geradezu penibel auf, wie sich Juden angeblich an den Häusern des Dörfchens Druisheim „schamlos bereicherten“. Der Titel dieser Hetzschrift: „Juden verschachern ein Dorf“.
Doch zurück nach Harburg, wo bei Hitlers „Machtergreifung“ im Jahre 1933 noch zwölf Juden lebten – in der Bürgerschaft anerkannt und gern gesehen: Mit der Bestellung Hitlers als Kanzler bekamen jedoch die jüdischen Bürger zunehmend Schwierigkeiten. Die meisten hatten schnell die Zeichen der Zeit erkannt, setzten sich aus ihrer Harburger Heimat ab und zogen fort. Die Nebels waren die letzten Juden, die trotz aller Diskriminierung in der Stadt an der Wörnitz wohnten.
Der Viehhändler Julius Nebel hielt nach wie vor Kontakt mit seinen Nachbarn. Zur rechten Seite wohnte Hedwig Westphal. Vor vielen Jahren erinnerte sie sich: „Wir haben die Leute gern gehabt, die Familien waren befreundet.“ Das war auch über die Hölle des Holocausts hinweg so geblieben. Nebels Tochter Margot besuchte die Nachbarn auch in den Nachkriegsjahren noch mehrfach.
Er hatte nicht mit dem Ausmaß des Hasses gerechnet
Ein Zeuge aus der Zeit des Pogroms wusste auch von Fritz Nebel, dem er unumwunden Bewunderung und Respekt zollte, und von dessen Redewendungen: „Hier ist meine Heimat“, habe Nebel stets gesagt – und im gutgläubigen Optimismus hinzugefügt: „Ich habe niemandem etwas getan, dann tun die mir doch auch nichts.“ Er war in seinem Vertrauen in die Menschlichkeit nicht nur physisch schwerhörig.
Fritz Nebel blieb so lange wie möglich im heimeligen Harburg. „Freiwillig ist er nicht gegangen“, äußerte Johann Rothbaur gegenüber der DZ im Jahr 1988. Er kaufte 1939 dessen Haus. „Der Fritz hat sich noch eine Kammer ausgebeten, in der er seine Möbel stellte.“ Der Harburger setzte 1988 versonnen hinzu: „Er wollte die Möbel nachholen.“ Fritz Nebel verließ Harburg am 29. Juni 1939. Kurze Zeit später, am 26. Juli, meldete sich auch die 71-jährige Mathilde Sara Nebel, geborene Stein, die im Burgstädtchen zur Welt gekommen war, polizeilich nach Augsburg ab. Der Bürgermeister rapportierte gemäß der Verfügung vom 23. April 1935 dem Landratsamt in erschreckend blindem und kaltem Gehorsam: „Harburg ist schon von jetzt ab judenfrei.“ Der langjährige Stadtbeamte Hermann Böhm hatte einst die Abmeldung von Fritz Nebel in der Harburger Altregistratur nachgesehen. Auch Fritz Nebel lebte zunächst noch in Augsburg. Der Nachbar berichtete ebenfalls 1988: „Mein Vater hat den Fritz des Öfteren noch im dortigen Schlacht- und Viehhof getroffen. Und zwar in der Toilette, um nicht gesehen zu werden. Er hat ihm dann immer wieder erzählen müssen, was es in Harburg Neues gibt.“ Eines Tages blieb er weg, kam nicht mehr. In seiner Heimat Harburg erzählte man sich, Fritz Nebel wurde im Konzentrationslager vergast. Der Nazi-Terror ging weiter, bis 1945. (dz)
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