Bischof Bertram Meier steht wieder einmal in der Kritik
Nach dem Rücktritt von zwei Missbrauchsbeauftragten machte er Schlagzeilen. Nicht zum ersten Mal. Ausgerechnet Meier, könnte man sagen – mit Blick auf seine Vorgänger Zdarsa und Mixa.
Bertram Meier trägt auch an jenem Abend Mitte September 2023 sein großes silbernes Brustkreuz. Der Bischof ist zur Eröffnung der Wanderausstellung "Betroffene zeigen Gesicht" ins Haus Sankt Ulrich in Augsburg gekommen. Die Ausstellung zeigt Porträtfotos von Missbrauchsbetroffenen im Kindes- und Jugendalter, Opfer von Kirchenmännern. Der Bischof habe einen anderen "nicht unwichtigen Termin" abgesagt, sagt Hubert Paul, der Vorsitzende der "Unabhängigen Aufarbeitungskommission Augsburg" anerkennend. Meier sende damit ein Zeichen. "Sie, Herr Bischof Dr. Meier, sind ein zuhörender, ein anhörender Bischof", sagt Paul in dessen Richtung.
Dann hält der Bischof im "Kleinen Saal" des Tagungshauses eine Rede von gut vier Minuten. Er spricht von einer ihn "auch persönlich sehr belastenden Thematik".
Sieben Monate danach werden zwei der drei unabhängigen Missbrauchsbeauftragten des Bistums Augsburg ihren Rücktritt zum 30. April ankündigen. Als unsere Redaktion darüber am Mittwoch, es ist der 24. April, berichtet, macht das bundesweit Schlagzeilen. Einer der bekanntesten Betroffenenvertreter des Landes, Matthias Katsch, nennt es einen "einmaligen" Vorgang. Und wieder einmal steht Bischof Bertram Meier in der Kritik. In seinem Bistum sind, hinter vorgehaltener Hand, ebenfalls kritische Worte zu hören. Zuletzt häuften sie sich.
Was ist da los im Bistum Augsburg?, fragen sich viele. Manch einer ergänzt die Frage um ein "schon wieder".
Zur Ausstellungseröffnung im September 2023 ist auch Angelika Hauser gekommen, eine der damals noch drei unabhängigen Missbrauchsbeauftragten. Kaum mehr als ein Jahr zuvor hat die Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin das Amt übernommen, neben der Arbeit in ihrer Praxis, die wenige Gehminuten vom Ulrichshaus entfernt liegt. An einem der Stehtische vor dem Kleinen Saal stellt Hauser, Jahrgang 1959, evangelisch sozialisiert, aus der Kirche ausgetreten, gerade irritiert fest, dass der Bischof sie nicht gegrüßt habe. Mehr noch beschäftigt sie seine Rede.
Also setzt Angelika Hauser, die Missbrauchsbeauftragte, erneut einen Brief auf – und erklärt ihren Rücktritt
Meier sagte, die Missbrauchsaufarbeitung sei ein "Thema, das wir im Bistum Augsburg zwar angehen, wo wir aber ganz sicher noch einen langen und intensiven Weg vor uns haben". Hauser hatte ihn im Mai 2023 angeschrieben. Es ging um den Umgang mit lebenden beschuldigten Klerikern. Darum, bei Anhörungen dabei zu sein. Um fehlende Transparenz. "Ich bedanke mich schon jetzt für Ihre Resonanz und freue mich auf einen baldigen persönlichen Austausch zu diesen Themen", schrieb sie. Später wird sie sagen, nach einem ersten Gespräch habe "keinerlei Dialog" mehr stattgefunden.
Also setzt sie erneut einen Brief auf – und erklärt ihren Rücktritt. Am Montag, 22. April, 8.30 Uhr wirft sie ihn mit dem Rücktrittsschreiben ihres Psychologen-Kollegen Rupert Membarth im Briefkasten des Bischöflichen Sekretariats im Hohen Weg 18 gegenüber dem Augsburger Dom ein. Zwei Briefe in einem Umschlag, reichlich Gesprächsstoff.
Wieder geht es um den Umgang mit lebenden beschuldigten Klerikern. Um fehlende Transparenz. Hauser schreibt: "Leider habe ich bis heute nicht erkennen können, dass die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Augsburg, die Bischof Bertram einmal als seine ,Herzensangelegenheit’ bezeichnete, mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und echtem Aufklärungswillen betrieben wird". Im anderen Brief schreibt Rupert Membarth: "Ich kann kein engagiertes Bemühen der Diözesanleitung erkennen, proaktiv vergangene und gegenwärtige Fälle sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten".
Nicht erst dadurch ist ein gewisser Eindruck entstanden. Christian Weisner von der bundesweiten katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche" analysiert es als Auseinanderklaffen von Worten und Handeln. Im vergangenen Dezember zum Beispiel, kurz vor Weihnachten, war durch einen WDR-Bericht bekannt geworden, dass Meier die Zahlung von 150.000 Euro an ein Missbrauchsopfer zu blockieren drohte. Es wäre das erste Mal gewesen, dass ein deutscher katholischer Bischof einer Entscheidung der "Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen" nicht gefolgt wäre.
Die Liste von Bertram Meiers Äußerungen, die ein kritisches Echo auslösten, ist immer länger geworden
Meier entschied sich für die Zahlung, forderte allerdings eine Grundsatzdebatte innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz über die Höhe der sogenannten Anerkennungsleistungen. Nun reagierte auch die Deutsche Bischofskonferenz verstimmt und lehnte die Forderung nach einer Grundsatzdebatte ab. Das System der Anerkennungsleistungen war nach langen Diskussionen beschlossen worden.
Die Liste von Meiers Äußerungen oder Handlungen, die ein kritisches Echo auslösten, ist mit der Zeit immer länger geworden. Ausgerechnet Meier, könnte man sagen – mit Blick auf seine polarisierenden Vorgänger Konrad Zdarsa und Walter Mixa. Über ihn wurden vor vier Jahren Sätze publiziert wie dieser: Meier habe sich "als zugänglicher, auf Ausgleich bedachter und dabei auch humorvoller Gesprächspartner profiliert". Kurz nach seiner Weihe zum neuen Augsburger Bischof im Juni 2020 sagte der gebürtige Buchloer, er fühle sich getragen von einer Welle der Sympathie und traf damit die Aufbruchstimmung in einem der nach Kirchenmitgliederzahl größten der 27 deutschen Bistümer sehr genau.
Konrad Zdarsa dagegen galt als überfordert, mit seinen Plänen zur Umstrukturierung des Bistums brachte er Tausende Gläubige gegen sich auf. Es kam zu Großdemonstrationen. Walter Mixa wiederum hatte einst Parallelen gezogen zwischen der Zahl der Abtreibungen und dem Holocaust, wegen Prügel- und Veruntreuungsvorwürfen musste er dem Papst seinen Rücktritt anbieten und erst dieses Jahr wurde gegen ihn wegen des Verdachts der Nötigung ermittelt. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren Anfang März ein.
Seine Vorgänger Zdarsa und Mixa polarisierten, Meier wurde hoch gelobt
Ausgerechnet Meier. Meier, der sich selbst als Vermittler beschrieb, als einen, der nicht bloß kirchenpolitisch versuche, "in der Mitte zu bleiben und die Mitte zu halten". Nahbar, ansprechbar, begeisternd – schnell wurde er zu einem der meistzitierten Oberhirten. Auch innerkirchlich schritt er schnell voran. Im September 2021 wählten ihn seine Mitbrüder zum Vorsitzenden der Kommission Weltkirche, zu einer Art "Außenminister", wie er gerne sagt. Im März 2023 ernannte ihn Papst Franziskus zum Mitglied des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen. Ein Dikasterium ist eine Zentralbehörde der Römischen Kurie. Schließlich benannte die Deutsche Bischofskonferenz ihn als einen von drei Diözesanbischöfen aus ihren Reihen als Teilnehmer der Weltsynode, auf der über Kirchenreformen diskutiert wird.
Im vergangenen Februar war Bertram Meier Gastgeber aller deutschen Bischöfe. Sie hatten sich nach mehr als 20 Jahren wieder einmal in Augsburg zu ihrer Vollversammlung getroffen – und einen historischen Beschluss gefasst: Sie warnten entschieden vor "völkischem Nationalismus" und rieten von einer Wahl der AfD ab. Meier war ein paar Monate davor heftig für seine Äußerung kritisiert worden, dass eine Parteimitgliedschaft allein kein Kriterium sei, Menschen auszuschließen.
Jedenfalls: Meiers Terminkalender ist voll, seine Reisen führen ihn bis in die Ukraine. Eine weitere Kirchenkarriere scheint nicht ausgeschlossen. Zumindest wird darüber in Kirchenkreisen spekuliert. Erwähnt Meier nicht oft seine Zeit am Vatikanischen Staatssekretariat von 1996 bis 2002 in Rom?
Wer ihn in seinen ersten hundert Tagen als Bischof aus der Nähe beobachtete, erlebte einen Kirchenmann, der fast atemlos sein Amt annahm. Von Meier kamen kleine und große Signale: Er machte eine Frau, eine Ordensschwester, zur Amtsleiterin im Bischofshaus; er ging auf Facebook live, das Format nannte sich "Herr Bischof, ich hätte da mal eine Frage..."; später setzte er die "Unabhängige Aufarbeitungskommission" für sein Bistum ein und zitierte das Johannes-Evangelium: "Die Wahrheit wird euch freimachen". Versagen und Schuld müssten benannt werden.
Als erster amtierender deutscher Bischof spricht er vor laufenden TV-Kameras mit Missbrauchsopfern
Viel beachtet wurde Anfang 2022, dass er als erster amtierender deutscher Diözesanbischof vor laufenden Fernsehkameras mit zwei Missbrauchsbetroffenen redete. Im Ulrichshaus. Ein bewegendes Gespräch:
Betroffene: Sie würden sich vielleicht zum Schluss auch entschuldigen für unser Leid?
Meier: Ja, nicht nur "würde". Ich kann ja sehr schnell um Entschuldigung bitten, aber wer entschuldet? Entschuldigung hat ja immer auch was zu tun mit persönlichen Fehlern, mit einer Schuld, die ganz konkrete Menschen auf sich genommen haben. ... Ich kann sagen: Es tut mir leid, dass auch Vertreter der Kirche sich so benommen haben. ... Es darf aber nicht bei Worten bleiben. Es geht um die Zukunft. Wir schauen in die Vergangenheit, in Ihre persönliche Geschichte. Mein Auftrag als Bischof, als Verantwortungsträger ist, dass solche Dinge möglichst nicht mehr sich wiederholen. Um das geht’s.
Meier erhielt positive Reaktionen, "Wir sind Kirche" bezeichnete ihn als "ein Vorbild". Doch auch hier: Kritik gab es gleichwohl – von den beiden Betroffenen. Dass er während ihres Gesprächs sein großes silbernes Brustkreuz nicht ablegen habe wollen, habe sie verstört. So sagen sie es noch heute.
Auf Kritik oder für ihn potenziell kritische Situationen antwortete der Augsburger Bischof teils überaus rasch und tatkräftig. Als sich im April 2022 Dutzende Mitarbeitende und Verbände seines Bistums mit einer Solidaritätserklärung den Forderungen der Initiative "OutInChurch" anschlossen und die Bistumsleitung zu einem "Kulturwandel" im Umgang mit queeren Kolleginnen und Kollegen aufriefen, sagte er bereits wenig später, er wolle sich das Anliegen von "OutInChurch" zu eigen machen. Er wolle eine Kirche ohne Angst fördern. Bundesweit hatten sich Kirchenmitarbeitende zu ihrer Homo-, Bi- oder Transsexualität bekannt und damit ihre Jobs riskiert. Einer der Erstunterzeichnenden der Solidaritätserklärung, "AugsburgOhneAngst", übernahm zum 1. September 2023 die neu geschaffene Planstelle für "queersensible Pastoral" im Bistum Augsburg.
In der Tat: Es ist einiges los, häufig wird es in ganz Deutschland registriert und kommentiert. Über Bertram Meier gehen die Meinungen auseinander. Sein Verhalten: bisweilen schwer nachvollziehbar.
Was Angelika Hauser nach ihrem Rücktritt sagt – und was der Augsburger Bischof
Zu den Rücktrittsankündigungen seiner beiden Missbrauchsbeauftragten hatte das Bistum eine Stellungnahme veröffentlicht, sie rutscht auf der Bistumshomepage Stück um Stück nach unten, nach hinten. In ihr schrieb es unter anderem von "Missverständnissen", verwies auf datenschutzrechtliche Hürden und wies den "Vorhalt, dem Bistum Augsburg würde es an echtem proaktiven Aufklärungswillen mangeln, ... entschieden zurück". Auf der Frühjahrsvollversammlung des Laiengremiums Diözesanrat habe er, so wird Meier auf der Bistumshomepage zitiert, bedauert, dass "die seit vielen Jahren intensiv betriebenen Aufarbeitungsbemühungen in Misskredit" geraten seien.
Angelika Hauser hat inzwischen ein Schreiben erreicht, in dem der Bischof "formal ihren Rücktritt angenommen" habe, wie sie es formuliert. Im Rückblick auf die vergangenen Tage, sagt sie, habe sie "nur, nur, nur Zuspruch" erfahren. Von Missbrauchsbetroffenen. Und aus Bistumskreisen.
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