Christian Lindner gibt sich in der EU als vorsichtiger Diplomat
Braucht es eine Reform der Schuldenregeln? Die EU ist uneins. Finanzminister Christian Lindner bleibt bei seinem ersten Eurogruppen-Treffen vage.
Es war Christian Lindners Debüt als Finanzminister in Brüssel. Trotzdem ging es bereits bei der Begrüßung gestern Nachmittag zu wie unter alten Freunden. Man kennt sich natürlich und man kennt auch die Positionen der Kollegen – sofern sie sich bereits festgelegt haben. Die EU-Partner rätseln noch, auf welche Seite sich die neue Bundesregierung schlagen wird im Streit um die Zukunft der europäischen Schuldenregeln. Neben der geplanten globalen Mindestbesteuerung ging es beim Treffen der Euro-Gruppe vor allem um eine mögliche Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Euro-Raum. Wenn am Dienstag alle 27 EU-Finanzminister zusammenkommen, wird das Thema ebenfalls auf der Agenda stehen. Und die Erwartungen an Deutschland sind hoch.
In den letzten Tagen versprühte Lindner Hoffnung in alle Richtungen. „Für Sinnvolles sind wir offen“, sagte er vergangene Woche im Bundestag. Heißt das, er steht der Aufweichung der europäischen Haushaltsregeln aufgeschlossen gegenüber? Gestern klangen seine Worte weniger nach Lockerung. Der Deutsche führte zum wiederholten Male aus, der Stabilitäts- und Wachstumspakt habe sich aus Sicht der Bundesregierung „mit seinen Fiskalregeln und seiner Flexibilität im Kern bewährt“. Jetzt sei es an der Zeit, wieder „finanzielle Puffer“ aufzubauen. Was will Lindner? Bislang blieb der FDP-Politiker im Nebulösen – wohl auch, weil SPD, Grüne und Liberale noch um eine gemeinsame Position ringen.
Frankreich, Italien oder Spanien fordern Aufweichung der Haushaltvorschriften
Länder wie Frankreich, Italien und Spanien fordern eine Aufweichung der strikten Haushaltsvorschriften. So ist der französische Finanzminister Brune Le Maire der Meinung, das derzeitige Schuldenlimit sei „obsolet“. Man müsse neue Regeln definieren. Der 1997 eingeführte Pakt schreibt vor, die jährliche Neuverschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Außerdem darf die Staatsverschuldung maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen.
Inwieweit Berlin Paris entgegenkommen wird, ist offen. Beide, Le Maire und er, seien realistische Politiker. „Wir sind keine Träumer“, sagte Lindner und spielte damit auf Äußerungen von Le Maire an, nach denen sich die Schuldenregeln an der Realität orientieren müssten und nicht an Träumen. Die Frage bleibt, wie die Staaten die Wirklichkeit interpretieren – und welche Lösungen sie bevorzugen. Lindner erwarte nicht, dass bei den Kriterien der Defizitregeln „grundlegende Veränderungen realistischerweise zu erwarten sind“. Sie seien aber auch nicht nötig. Es gebe „auch andere Maßnahmen, die man einleiten kann, um fiskalische Stabilität mit der Verbesserung von Investitionsmöglichkeiten zu verbinden“.
Staaten, die auf strenge Regeln pochen, schauen auf Lindner
Damit dürfte er für Erleichterung in den Niederlanden, Österreich, Schweden oder Dänemark gesorgt haben. Es sind jene Staaten, die auf strenge Regeln pochen und hoffen, Deutschland weiterhin als Verbündeten im Klub der Sparer zu wissen. Doch auch an dieser Front gab es zuletzt Bewegung. Die neue linksliberale Finanzministerin der Niederlande, Sigrid Kaag, steht für einen weicheren Kurs gegenüber hoch verschuldeten Ländern.
Die Debatte über eine mögliche Reform des Vertragswerks sollte bereits 2020 geführt werden. Dann kam die Pandemie und die EU setzte erstmals die Regeln des „Stabi-Pakts“ aus. Die Staaten konnten hohe Schulden aufnehmen, ohne dafür von Brüssel gerügt zu werden. Im Juni will die Kommission ihre Änderungsvorschläge präsentieren, ab Anfang 2023 könnten die Vorschriften wieder in Kraft treten. Die Frage ist, ob in der alten Form oder verändert. Zwei Vorstöße werden diskutiert. So könnten erstens grüne Investitionen in den Klimaschutz bei der Berechnung von Schuldenständen und Defiziten ganz oder teilweise ignoriert werden. Zweitens geht es um den Vorschlag, dass hoch verschuldete Länder individuelle Lösungen zum Abbau ihrer Schuldenberge auferlegt bekommen, ein für das jeweilige Land maßgeschneiderter Plan sozusagen.
„Bei der Staatsverschuldung brechen die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich, einen Rekord nach dem anderen“, kritisierte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber als wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Darauf mit einer Lockerung des Stabi-Pakts zu reagieren, sei der falsche Weg. „Wir müssen alte Schulden abbauen, nicht neue Schulden aufbauen.“
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