Comeback der Wehrpflicht: Was "Zeitenwende" wirklich bedeutet
Teure Energie, keine Geschäfte mehr mit Russland, Waffenlieferungen und nun auch noch die Wehrpflicht? Die Deutschen erleben derzeit ein Rendezvous mit der Realität.
Es gibt diesen einen Moment, in dem Olaf Scholz als Kanzler alles richtig gemacht hat. Es ist jene Rede, zu der ihm sogar Oppositionschef Friedrich Merz gratulierte. In der er den Begriff prägte, der von seiner Kanzlerschaft bleiben wird: Zeitenwende.
Alles war plötzlich anders, nachdem Russland einen Krieg mitten in Europa begonnen hatte. Die meisten Menschen haben das so empfunden – doch nur wenige hatten auch nur eine vage Ahnung davon, wie tiefgreifend sich die Zeiten ändern werden.
Das muss man zumindest annehmen, wenn man sieht, wie brüskiert oder jedenfalls genervt viele Bürgerinnen und Bürger reagieren, sobald konkrete Antworten auf die neuen Herausforderungen gegeben und echte Konsequenzen gezogen werden. Ob es um den Abbruch der lukrativen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland geht, um die teure Energiewende, um Waffenlieferungen an die Ukraine e oder nun auch noch um die Wiedereinführung der Wehrpflicht – so hatten sich die Deutschen diese Zeitenwende dann doch nicht vorgestellt.
Wladimir Putin gönnt uns keine Verschnaufpause
Damit wächst die Versuchung, unpopuläre Entscheidungen aufzuschieben, zumal für eine Regierung, deren Uhr ohnehin tickt. Nur: Putin gönnt uns keine Verschnaufpause. Und im Übrigen war es ja genau diese Mentalität des Aufschiebens, die dazu geführt hat, dass unser Land in vielerlei Hinsicht derart in die Defensive geraten ist.
Die CDU erhöht mit ihrem Plan, die Wehrpflicht schrittweise wieder in Kraft zu setzen, den Druck auf Scholz und dessen Regierung. Dabei spiegelt der Beschluss des Parteitags eigentlich nur das wider, was Zeitenwende in Wahrheit meint. Wer die Bundeswehr verteidigungsfähig machen will, muss die Lücken in der Ausrüstung schließen, braucht aber eben auch mehr Soldatinnen und Soldaten.
Wehrpflicht: Verteidigungsminister Boris Pistorius dürfte offen für CDU-Idee sein
Den Verteidigungsminister von der SPD dürften CDU und CSU auf ihrer Seite haben. Doch Boris Pistorius weiß besser, wie schwierig es wird, ein abgewickeltes System wieder in Gang zu setzen – nicht nur, was die Akzeptanz in der Bevölkerung angeht, sondern auch organisatorisch und finanziell.
Hinzu kommen all jene Bedenken, die einst zum Entschluss beigetragen hatten, die Wehrpflicht auszusetzen. Allen voran die Frage der Wehrgerechtigkeit. Ist es vertretbar, wenn nur ein Bruchteil der Männer eingezogen wird und was ist mit den Frauen? Kehrt im Zuge der Wehrpflicht auch der Zivildienst zurück oder gibt es andere Möglichkeiten, junge Menschen für den Dienst an der Gesellschaft zu gewinnen? Was soll es bringen, wenn Wehrpflichtige nur ein paar Monate bei der Truppe verbringen? Bekommt die Bundeswehr wirklich die dringend benötigten Spezialisten, indem sie weitgehend wahllos Nachwuchs rekrutiert?
Woher sollen die Milliarden für die Wehrpflicht kommen
Und: Woher soll all das Geld für den Wiederaufbau der Infrastruktur kommen – von der Musterung über die Ausbildung bis zur Unterbringung in Kasernen? Nicht umsonst fordert Pistorius, die Schuldenbremse dürfe nicht für die Bundeswehr-Ausgaben gelten.
Eine Wehrpflicht kostet zig Milliarden. Das ist die Sollbruchstelle des CDU-Konzeptes: In Wahrheit atmet es den Geist einer guten, alten, übersichtlichen Zeit, die selbst unter einem Retro-Kanzler Friedrich Merz nicht zurückkommt. Sollte die Union tatsächlich nach der nächsten Bundestagswahl wieder regieren, müsste sie selbst die Zeiten wenden. Und sich fragen, ob man die vielen Milliarden nicht besser investieren sollte, um die Bundeswehr attraktiver für junge Leute zu machen, die dann freiwillig kommen – um zu bleiben.
Sie haben nicht die Berechtigung zu kommentieren. Bitte beachten Sie, dass Sie als Einzelperson angemeldet sein müssen, um kommentieren zu können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an moderator@augsburger-allgemeine.de.
Um kommentieren zu können, gehen Sie bitte auf "Mein Konto" und ergänzen Sie in Ihren persönlichen Daten Vor- und Nachname.
Bitte melden Sie sich an, um mit zu diskutieren.
Es ist doch ganz einfach. Entweder werden alle (!) ausnahmslos verpflichtet und (!) auch tatsächlich zu einem allgemeinen Dienst, der auch bei der Bundeswehr absolviert werden kann, herangezogen oder eben keiner. Es kann und darf nicht sein, dass nur ein Bruchteil - womöglich wieder nur biologische binäre Männer, herangezogen werden und die anderen sich einen schönen Lenz machen. Wer gleichberechtigt sein will, muss auch gleich verpflichtet sein.
Ausnahmslos bedeutet, ob binär, nicht binär, jeglichen Geschlechts und jeglicher Begabung und physischer Attribute. Es gibt für jeden eine geeignete Tätigkeit angepasst auf physische und psychische Attribute. NIemand ist nutzlos oder unfähig, jeder eben nur nach seinen persönlichen Umständen. EIne Wiederaufnahme der früheren Wehrungerechtigkeit ist strikt abzulehnen.
Aber es sollten erst einmal die erforderlichen Strukturen geschaffen werden. Denn diese wurden mit der damaligen Aussetzung der Wehrpflicht größtenteils beseitigt.
Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht war e i n e r der Fehler von Kanzlerin Merkel und Minister Guttenberg. Die Bundeswehr
wurde kaputtgespart und Minister Pistorius steht jetzt vor einem nicht wehrhaften Scherbenhaufen und Finanzminister Lindner
torpediert auch hier die dafür notwendigen Milliarden.
Man darf neugierig sein, wann führende Politiker einmal fetstellen, daß die normale Wehrpflicht ein totes Pferd ist.
Darf ich fragen was Sie zu der Meinung führt, dass eine "normale" Wehrpflicht ein totes Pferd sei? Mal abgesehen davon, was wäre eine "unnormale" Wehrpflicht denn so, nach Ihrer Meinung?
Mir hat sie nicht geschadet, dem Land hat sie, wenn auch auf meine Person bezogen nur marginal, geholfen und generell schadet es wohl keinem jungen Menschen, Männchen / Weibchen und Diverschen (ist das so richtig?) mal als kleiner Nebeneffekt, mit Disziplin, Ordnung und ein wenig Gehorsam in Berührung zu kommen.
Abgesehen vom militärischen Nutzen, den ich persönlich sehe, wäre auch der gesellschaftliche nicht zu vernachlässigen.
Wir sind selten einer Meinung, aber da gebe ich Ihnen wirklich recht. Die BW braucht gut ausgebildete Leute, mit denen man planen kann, keine W18er, die ihre Zeit irgendwie rumbringen und dann in der Versenkung verschwinden. Das mag in der Zeit funktioniert haben, als Deutschland sich überall heraushalten konnte, aber diese Zeit ist Schnee von gestern.
@Jürgen A.
Und mir hat es garantiert nicht geschadet, dass ich in keiner Kaserne rumgammeln musste. Ich habe in dieser Zeit bereits fleißig gearbeitet – und zwar sehr gewissenhaft und diszipliniert, ohne dass mir ein übelgelaunter Feldwebel Gehorsam und Disziplin beibringen musste. Und einen Haushalt konnte ich so nebenbei auch stemmen, ohne dass mir jemand beigebracht hätte, wie ich mein Bett zu machen sei. Dass ich eher am Frieden arbeiten möchte als kriegstüchtig zu werden, allerdings immer mit dem Recht auf Notwehr, das hat mir das Leben beigebracht.
Normale Wehrpflicht wäre die, wie wir sie hatten - alle müssen ran mit Ausweichmöglichkeit zum Zivildienst. Die spezielle Wehrpflicht, ich nenne sie mal so, sähe ich kontingentiert, also, die Zahl müsste man nach gewissen Kriterien festlegen, so etwas 20.000-30.000 / Jahr um einerseits die Reserve(n) aufzustocken und andererseits Zeit- und Berufssoldaten daraus zu generieren. Gedankenmodelle hierzu gibt es schon. Schaden tut der Grundwehrdienst sicherlich kaum jemandem, aber die vermeintlichen Tugenden die Sie aufführen, kann man auch anderweitig erlernen. Gesellschaftlicher Nutzen - welcher? Militärischer Nutzen - äußerst eingeschränkt. Auch wenn meine aktive Zeit schon seit über 30 Jahren beendet ist, glaube ich doch als ehemaliger SaZ14, Dienstgrad d.R. wird noch nicht verraten.. :), Sinn und Unsinn der Wehrpflicht einigermaßen beurteilen zu können. Über einen Punkt könnte man dich auch noch intensive Gedanken machen: Aufbau der gesamten Wehrpflichtinfrastruktur. Das wäre kein Pappenstiel und würde neben schönen Kosten auch Jahre in Anspruch nehmen.
Nichts dazugelernt; wenn das mit der Zeitenwende so weiter geht können wir am Besten wieder einen Eisernen Vorhang errichten, das kommt billiger und verursacht weniger Tote.
Na, wenn Sie sich gleich auf die andere Seite stellen (denn da gehören Sie hin), dann bin ich dabei! Deal?