Mögliche Verfassungsänderung sorgt für Diskussionsstoff
Christine Stahl und Reinhold Bocklet werben vor den Volksentscheiden zu den Verfassungsänderungen noch einmal für ihre Positionen. Die Abstimmung erfolgt mit der Landtagswahl
Die Debatte im Landtag über die fünf geplanten Änderungen der Bayerischen Verfassung ist längst abgeschlossen. In der Sitzung am 20. Juni dieses Jahres stimmten CSU, SPD, Freie Wähler und FDP dafür, die bald 70 Jahre alte Verfassung um Bestimmungen zur Förderung des Ehrenamts und des ländlichen Raums, zur Europapolitik und zur Finanzausstattung der Gemeinden zu ergänzen sowie die Bestimmung über die Schuldenbremse zu konkretisieren. Nur die Grünen waren dagegen. Jetzt aber haben die Wähler das Wort. Am Tag der Landtagswahl entscheiden sie, ob und in welchen Punkten die Verfassung geändert wird oder nicht.
Reinhold Bocklet und Christine Stahl liefern sich politisches Fernduell
Für die beiden schärfsten Kontrahenten in der Debatte – die Landtagsvizepräsidenten Reinhold Bocklet (CSU) und Christine Stahl (Grüne) – war dies gestern Anlass, sich noch einmal zu Wort zu melden. Sie lieferten sich mit zwei Pressekonferenzen ein politisches Fernduell der besonderen Art: Bocklet gibt den unerschrockenen Streiter für mehr Rechte des Landtags in der Europapolitik, Stahl präsentiert sich als strenge Hüterin der Verfassung. Beide Politiker gehören – jeder auf seine Weise – zu einer Minderheit. Der frühere Europaminister sieht sich der herrschenden Meinung der Verfassungsjuristen in Deutschland gegenüber. Die Grünen-Rechtsexpertin stemmt sich gegen das eindeutige Votum der Landtagsmehrheit. Nach Bocklets Worten ist von den fünf geplanten Verfassungsänderungen nur eine wirklich entscheidend: die zur Europapolitik. In allen Fällen, bei denen es um Übertragung von Landeskompetenzen auf die Europäische Union geht, sollen die Vertreter der Staatsregierung im Bundesrat künftig nur mit Zustimmung des Landtags oder, falls es einen Volksentscheid gibt, mit Zustimmung des Volkes entscheiden dürfen. Zur Begründung verwies er auf das Mitspracherecht des Bundestags und sagte: „Der Bundestag muss beteiligt werden, der Landtag schaut mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Das wollen wir ändern.“
Geplante Verfassungsänderungen sorgen für Diskussionsstoff
Bocklet räumte zwar ein, dass der Weg über die Länderkammer kompliziert ist und Bayern im Bundesrat überstimmt werden kann. Dennoch erhofft er sich in künftigen politischen Auseinandersetzungen eine öffentliche Wirkung, die durch Volksentscheide in Bayern verstärkt werden könnte. „Wenn eine solche Situation eintritt, dann wird darüber in ganz Europa berichtet.“
Dass die meisten Verfassungsrechtler in Deutschland eine andere Auffassung vertreten, irritiert Bocklet nicht. Er hat, um die Entscheidung des Landtags noch einmal zu untermauern, beim Münchner Rechtsprofessor Rudolf Streinz ein Gutachten in Auftrag gegeben. Streinz kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. Die geplante Verfassungsänderung, so sagt er, sei „sowohl europarechtskonform als auch verfassungskonform“. Rechtsexpertin Stahl hielt gestern noch einmal dagegen. Dass es in der Europapolitik ein „Demokratiedefizit“ gebe, sei unbestritten. Die deutsche Europapolitik sei aber nun einmal Sache des Bundes. „Da wäre es schon wirkungsvoller, wenn wir einen Volksentscheid auf Bundesebene einführen“, sagte sie. Entsprechende Forderungen der Grünen seien aber bisher abgelehnt worden.
Mögliche Verfassungsänderung: Kritik an Horst Seehofer
Auch an den anderen geplanten Verfassungsänderungen ließ Stahl kein gutes Haar. Sie sprach von „Luftnummern“ und „Nebelkerzen“. Nur weitere Staatsziele in die Verfassung aufzunehmen, statt diese Ziele aktiv zu verfolgen, sei „Alibipolitik“. Stahl sagte: „Das hat die Verfassung nicht verdient. In ihr steht alles, was wir brauchen.“
Die Grünen-Politikerin und ihre Fraktion stehen im Landtag mit dieser Meinung alleine da. Zwar hatten auch andere Fraktionen kritisiert, dass CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer seine Initiativen zur Änderung der Verfassung 2012 beim Politischen Aschermittwoch in Passau „zwischen Bierdunst und Fischsemmeln“ angekündigt hatte.
Nach weiteren Diskussionen im Landtag aber stimmten sie Seehofers Vorschlägen dann weitgehend zu – allerdings mit einer Ausnahme. Mit der Forderung, eine Integrationspflicht für Zuwanderer in die Verfassung aufzunehmen, konnte sich Seehofer nicht durchsetzen.
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